Auf ein Wort!

„Mein Tag ist viel zu kurz für alles, was ich erreichen möchte.“

Wer den Bunten Kreis Rheinland kennt, kennt Inka Orth. Sie ist die Vorsitzende und seit Gründung des Vereins dabei – mit viel Herzblut und persönlichem Engagement. Seit 13 Jahren unterstützt der Bunte Kreis Rheinland schwerkranke und zu früh geborene Kinder und ihre Familien.

Ihr Kind ist zu früh auf die Welt gekommen – wie war das vor 20 Jahren?

Max kam neun Wochen zu früh, mit nur 1100 Gramm auf die Welt. Ich hatte bis dahin keinerlei Berührungspunkte mit Frühgeborenen. „Mutterschaftsgeld für Selbstständige“ gab es noch nicht, deshalb ging ich nach der Geburt sofort wieder arbeiten. Ich hatte ein Einzelhandelsgeschäft. Max konnte ich nur abends in der Klinik besuchen. Als er entlassen wurde, fragten mich die Schwestern, wie ich den Alltag schaffen werde. Ich wollte ihn mit ins Geschäft nehmen. Aber das eskalierte schon nach wenigen Tagen. Max brauchte ein ruhiges, gewohntes Umfeld. Wir mussten jemanden suchen, der in der Zeit, in der wir arbeiten waren, auf Max aufpasste. Doch die Koordination wurde einfach zu viel. Nach anderthalb Jahren habe ich die Reißleine gezogen und meine Selbständigkeit aufgegeben. Ich habe meine Lebensaufgabe darin gefunden, den Bunten Kreis Rheinland zu gründen und aufzubauen.

 

Wann und wie haben Sie den Verein Bunter Kreis Rheinland gegründet?

Den Bunten Kreis Rheinland gibt es ziemlich genau seit dem 22.Januar 2003. Nach der Geburt von Max verbrachten wir viel Zeit in der Unikinderklinik in Bonn und lernten dort Prof. Bartmann kennen. Einige Jahre später berichtete er uns von einer neuen Studie hinsichtlich sozialmedizinischer Nachsorge und wollte die Ergebnisse der Studie gern in einem Verein umsetzen. Da wollte ich dabei sein.

 

Worum ging es in der Studie?

Um den „Drehtüreffekt“: Die Kinder werden in der Klinik professionell versorgt, die Eltern fühlen sich in der Betreuung sicher – doch kaum entlassen, stehen die Familien wieder in der Klinik, weil in der häuslichen Situation auch kleine Probleme zu einer Bedrohung des Kindes oder zu einer Überforderung der Eltern werden. Mit der Studie wollte man den Krankenkassen zeigen, dass sozialmedizinische Nachsorge eine Pflichtleistung werden muss.

 

Wie haben Sie den Verein aufgebaut?

Wir haben wirklich bei null angefangen. Wir hatten nichts. Kein Büro, kein Telefon, keinen einzigen Flyer. Wir haben erst einmal Spenden eingeworben, um überhaupt Öffentlichkeitsarbeit machen zu können. Bis wir irgendwann die erste Mitarbeiterin einstellen konnten, um die Nachsorge umzusetzen, sind viele Jahre ins Land gegangen.

Mittlerweile ist die sozialmedizinische Nachsorge eine Pflichtleistung, für die die Krankenkassen bezahlen müssen. Eine Leistung, die den Familien zusteht.

 

Wie finanziert sich der Bunte Kreis?

Bis heute ist die Rückvergütung der Krankenkassen nicht kostendeckend. Eine Kinderkrankenschwester muss ja auch mit dem Auto zu der Familie fahren, die sie betreut. Sie muss telefonieren können und einen Laptop haben, um die ganzen Dokumentationen zu machen. Es gibt viele Dinge, die nicht abgegolten werden. Unsere ganzen Projekte, wie zum Beispiel die Geschwister-Projekte oder das Tatendrang-Projekt, laufen rein spendenbasiert. Natürlich wird bei uns im Verein auch viel über Ehrenamt geleistet, aber eine professionelle Kinderkrankenschwester, einen Sozialpädagogen oder eine Psychologin kann man nicht ersetzen.

 

Gibt es ein Lieblings-Projekt von Ihnen?

Ganz klar: Das Geschwisterkinder-Projekt, weil es einfach so toll ist, den Kindern eine ganz besondere Zeit zu schenken. Geschwisterkinder von kranken oder beeinträchtigten Kindern kommen oft zu kurz, weil die ganze Energie und Kraft der Eltern sich auf das kranke Kind richtet.

Dass wir diesen Kindern eine tolle Zeit schenken können, mit Tagesausflügen oder Ferienfreizeiten, macht mich und mein Team besonders glücklich.

 

Was motiviert sie?

Ich weiß, dass ich etwas zurückgeben kann. Eigentlich geht es uns allen so gut. Ich ziehe wirklich den Hut vor Eltern mit einem schwerkranken oder beeinträchtigten Kind. Wir können am Wochenende frei entscheiden, wo wir hingehen, wen wir einladen, welchen Kurztrip wir machen und das können Familien mit einem beeinträchtigten Kind nicht. Wir selbst sind froh, dass unser Max seit vielen Jahren einen tollen Weg geht. Da empfinde nicht nur ich große Dankbarkeit. Auch mein Mann und meine ganze Familie engagieren sich schon seit vielen Jahren mit mir.

 

Was muss alles organisiert sein, damit der Verein arbeiten kann?

Ehrlich gesagt stört mich schon das Wort „Verein“. Wir sind wie ein mittelständisches Unternehmen. Wir beschäftigen mittlerweile über 40 Kinderkrankenschwestern und betreuen an die 600 Familien. Immer wieder kommt die Frage auf: Was ist bei uns wichtiger: Die Nachsorge oder das Fundraising? Ganz klar: Das eine geht nicht ohne das andere. Wenn ich kein Geld zur Verfügung habe, kann ich auch keine Familien unterstützen – dafür brauche ich eine gute Öffentlichkeitsarbeit und ein funktionierendes Fundraising-Konzept.

 

Auf welche Projekte freuen Sie sich im nächsten Jahr besonders?

Besonders freue ich mich auf unsere Kampagne: „Kranke Kinder haben Rechte“. Es ist sehr wichtig, den Fokus der Öffentlichkeit gerade auf diese Familien zu lenken. Sie müssen sich viele Dinge erkämpfen, obwohl sie ihre Kraft eigentlich für andere Dinge benötigen. Sie brauchen uns als Sprachrohr, wenn es um Angebote und Anträge hinsichtlich Therapien, Heil- und Hilfsmittel geht. Wir kämpfen jeden Tag dafür, dass die Eltern das bekommen, was ihnen auch zusteht.

 

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten: Was würden Sie sich für Ihren Verein und Ihre Arbeit wünschen?

Ich würde mir wünschen, dass wir irgendwann unser „Buntes Haus“ realisieren können. Ein inklusives Haus, in dem alles unter einem Dach ist. Mit einer offenen Tür für betroffene und nicht betroffene Familien. Mit einem riesengroßen Familien-Café, in das die Familien gehen können, wenn sie einfach nur mal jemanden zum Reden brauchen. Mit Therapiemöglichkeiten, Betreuungsangeboten für Geschwisterkinder und vielem mehr. Wir sagen immer so leichthin: „Kinder mit einer Beeinträchtigung gehören in unsere Mitte“ – aber wir müssen auch etwas dafür tun! Dafür braucht es Unterstützer! Ich glaube ganz fest daran, dass eines Tages jemand kommt, der diese Vision mit uns umsetzen will.