Palliativ

Was es bedeutet ein Kind zu verlieren…

… lässt sich in Worte wohl kaum fassen. Yvonne und Alexander Blauhut aus Bad Neuenahr-Ahrweiler hatten den Mut und die Kraft dazu. Knapp vier Monate nach dem Tod ihres Sohnes Lukas haben sie im Familiencafé beim Bunter Kreis Rheinland erzählt, wie es war damals mit Lukas. Yvonne Blauhut war erstmals wieder in den Räumen des Bunter Kreis direkt neben der Kinderklinik – man konnte ihren Schmerz spüren. Und ganz sicher ging jedem Anwesenden gleich die Frage durch den Kopf: Wie kann man das aushalten?

Alexander Blauhut begann mit seinem Bericht, der stellenweise dem eines Oberarztes glich; immer wieder musste er sich bremsen, um Fachbegriffe zu erläutern und das Wirrwarr der verschiedenen Leidensstationen von Lukas für seine Zuhörer zu entflechten.

Als ihr Sohn Phil zwei Jahre alt war, kam Lukas im Februar 2013 auf die Welt. Nach einer normal verlaufenden Schwangerschaft diagnostizierte die erste kinderärztliche Untersuchung eine Zwerchfellhernie; ein Riss im Zwerchfell, über welchen Bauchorgane in den Brustkorb treten, die Lunge belasten und das Herz verdrängen. Eine angeborene Zwerchfellhernie kommt bei ca. 0,02 % der Neugeborenen vor.

Für kurze Zeit im Bonner Marienhospital, verlegte man Lukas dann auf die neonatologische Intensivpflegestation (NIPS) auf den Venusberg. Hier wurde das Baby 13 Monate medizinisch versorgt, operiert, beamtet über einen Luftröhrenschnitt, ernährt über eine PEG-Magensonde, zu klein, um seine Schmerzen, seine Ängste und seine Bedürfnisse artikulieren zu können. Der Vater fuhr täglich in die Klinik, saß beim seinem Sohn, las ihm vor oder hielt einfach nur sein Händchen.

In dieser absurden Ausnahmesituation waren die familiären Probleme vorprogrammiert. Alexander Blauhut konnte seiner Arbeit nicht mehr nachgehen, der Arbeitgeber stellte ihn frei; Geld fehlte überall. Um Lukas auch zuhause versorgen zu können, musste ein größeres Haus angemietet werden mit einem Zimmer für den Patienten im Erdgeschoss. Die Fahrtkosten – oft mehrmals täglich Bad-Neuenahr/Bonn und zurück sowie die Parkgebühren in der Uniklinik wuchsen proportional zum Bedarf des zuhause gebliebenen Phil auf Zuwendung und Aufmerksamkeit. Und immer begegnete Familie Blauhut Menschen, die sie schikanierten oder einfach nicht hilfsbereit waren. Höchst unangenehme und erniedrigende Gespräche mit der Krankenkasse oder aber der Rückzug vieler Verwandter und Freunde, die mit der Situation nicht umgehen konnten – oder wollten.

Schwester Hava, Krankenschwester im NIPS, kümmerte sich rührend um den kleinen Lukas – und um seinen Vater. Sie war da, wenn man sie brauchte, sie erklärte Alexander Blauhut die vielen Instrumente, an die Lukas angeschlossen war und sie war es, die der Familie den Bunter Kreis Rheinland ans Herz legte, für den sie als Nachsorgeschwester arbeitet. Hier gab es endlich Hilfe und Entlastung für die Familie. Nachsorgeschwester Dagmar Kirsche kümmerte sich z.B. um die Klärung der sozialrechtlichen Fragen und finanzieller Angelegenheiten wie mit den Krankenkassen oder dem Arbeitsamt. Auch die Fürsorge für Phil übernahm der Bunter Kreis, der bis dahin zwischen Verwandten und Freunden hin- und hergeschoben wurde.

Nach 13 Monaten durfte Lukas dann endlich nachhause. Auch der kleine Phil freute sich über seinen Bruder, stieg in sein Bettchen und streichelte seine Wangen. Der ortsansässige Pflegedienst hatte die Aufgabe, sich rund um die Uhr um den kleinen Lukas zu kümmern, war aber wohl mit Lukas absoluter Hilflosigkeit restlos überfordert. Nach vier Wochen musste Lukas wieder zurück in die Klinik.

Am 13. April 2014 ist Lukas verstorben, erzählt Alexander Blauhut und schluckt seine Tränen herunter. Es wird sehr still im Raum und wie um den andern Mut zu machen sagt er: „Aber es gab auch sehr viele schöne Momente mit Lukas, z.B. ihn das erste Mal zu baden, oder ihn als man kurzzeitig die Magensonde entfernen konnte, mit einem richtigen Löffel zu füttern. Und es gab sehr viele Augenblicke, wo wir keine Kraft mehr hatten und das hätten wir ohne die Hilfe des Bunter Kreis nicht geschafft.

Yvonne Blauhut wurde im November 2013 wieder schwanger – mit Emma. Eigentlich wollte die Familie kein Kind mehr, aus Angst. Andererseits freuen sie sich jeden Tag über Emma, denn sie sieht Lukas sehr ähnlich. Mit ihr und Phil gehen sie regelmäßig auf den Friedhof, denn Phil möchte mit seinem Bruder reden und mit den Autos auf dem Grab von Lukas spielen.