„Lia Löwenherz“
Kathrin und ihr Mann Norman freuen sich riesig auf ihr erstes Kind. Lia soll das kleine Mädchen heißen. Der Name bedeutet soviel wie: Löwin. Dabei ahnen sie damals noch gar nicht, wie sehr ihre kleine Tochter einmal kämpfen muss. An einem Freitag im März gehen sie zum Organscreening. Zunächst scheint alles in Ordnung, doch plötzlich wirkt die Ärztin beunruhigt. Irgendetwas stimmt nicht. Sie vermutet einen schweren Herzfehler und überweist die Familie sofort in die Uniklinik nach Bonn. Von einem Augenblick auf den anderen, änderte sich das Leben der kleinen Familie schlagartig.
„In der Uniklinik bestätigte man den Verdacht leider“, erzählt Kathrin vom schlimmsten Tag ihres Lebens. „Bei Lia wurde ein Loch im Herzen diagnostiziert, ihre Lungenarterie war verengt und auch zwischen Magen und Darm befand sich eine Engstelle, die, so sagte man uns, so schnell wie möglich nach der Geburt behoben werden müsste. Dennoch war es in der 24. Schwangerschaftswoche nicht möglich, genau vorherzusagen wie ausgeprägt die Erkrankungen später sein würden. Wir mussten im Vorfeld mit vielen Eventualitäten rechnen. Die Ungewissheit und Hilflosigkeit waren das Schlimmste.“
Ängste und Sorgen um das ungeborene Kind und die gemeinsame Zukunft prägen plötzlich den Alltag. Hinzu kommt die „Corona-Situation“, die dazu führt, dass sich beide nahezu komplett isolieren. Nach einem Blasensprung in der 34. Schwangerschaftswoche wird Kathrin mit dem Helikopter von ihrem Heimatort Hagen in die Uniklinik Bonn geflogen. Vater Norman fährt mit dem Auto hinterher und schafft es gerade noch rechtzeitig zur Geburt. Lia kommt mit 1.900 Gramm und 44 Zentimetern auf die Welt und muss für weitere Untersuchungen sofort auf die Frühgeborenen-Intensivstation. Zu diesem Zeitpunkt haben die Eltern ihre Tochter nur wenige Sekunden gesehen.
„Am Nachmittag durften wir Lia das erste Mal im Arm halten“, erinnert sich Kathrin. „Das war ein Moment, den ich nie vergessen werde. Aber auch die ängstlichen Tage danach werden mich wohl immer begleiten. Lia wurde am dritten Tag nach der Geburt zum ersten Mal operiert. Sie war so klein und die Vorstellung, dass man ihr unter Vollnarkose den Bauch aufschneidet, um eine Umleitung um den Zwölffingerdarm zu legen, hat mich fast wahnsinnig gemacht. Vier Tage später wurden dann noch ein Herzkatheder und ein Stent in die Lungenarterie gelegt.“
Kathrin bleibt einige Tage auf der Wöchnerinnen-Station, danach ziehen sie und Norman in ein Hotel. Der Weg nach Hagen wäre einfach zu weit. Sie möchten so nah wie möglich bei ihrer Tochter sein. Für beide werden die Krankenschwestern der Neonatologie zu wichtigen Bezugspersonen. Sie stellen für die Familie auch den Kontakt zum Verein: „Bunter Kreis“ her. „Der Bunte Kreis war für uns eine große Hilfe“, so Kathrin. „Allein zu wissen, dass man nicht alleine mit dem Baby und seinen Sorgen ist, hat uns sehr geholfen. Unmittelbar nach der Entlassung kam die Nachsorgeschwester zu uns nach Hause und hat uns in vielerlei Hinsicht unterstützt. Sie hat uns gezeigt, wie wir Lias Narben versorgen, wie wir ihr im Tragetuch einen engen Körperkontakt ermöglichen, wie wir sie baden oder wie wir ihr die Nahrungsaufnahme erleichtern. Anfangs hat sie nicht mehr als 10 Milliliter pro Mahlzeit getrunken und war, um ihre Sauerstoffsättigung im Blut zu überwachen, nachts am Monitor. All das mussten wir zunächst erst einmal lernen.“
Kathrin und Norman sind damals vor allem glücklich über die Unterstützung bei organisatorischen Dingen: So müssen zum Beispiel Pflegegrad und Behindertenausweis beantragt sowie Arztbesuche und Physiotherapie organisiert werden. Bei allem hilft die Nachsorgeschwester, während sich die Eltern ganz auf Lias Genesung konzentrieren können. Mittlerweile hat sich bei allem Routine eingestellt. „Für uns ist das jetzt einfach so“, beschreibt Kathrin ihren Alltag. „Wir haben uns daran gewöhnt und freuen uns über jeden Fortschritt von Lia. Unsere Kontakte nach außen sind coronabedingt nach wie vor gering. Wir sehen Lias Großeltern, ab und zu gehe ich mit einer Freundin spazieren und ich habe engen „Whats App Kontakt“ zu einer anderen Familie mit ähnlicher Krankengeschichte. Manchmal ist das schon ein wenig einsam, aber wir wollen jedes Risiko für Lia vermeiden.“
In 10 Tagen wird Lia ein weiteres, und wie die Eltern hoffen, vorerst letztes Mal operiert. Dann wird das Loch in ihrem Herzen geschlossen und der Stent entfernt. Und was geben sie anderen Familien in einer ähnlichen Situation mit auf den Weg? „Man darf nie die Hoffnung verlieren “, sagt Kathrin. „Man muss seine Ängste zulassen und darüber sprechen. Mit viel Liebe und Fürsorge schaffen die Kinder das. Es ist so erstaunlich, was diese kleinen und zerbrechlichen Wesen für Kräfte haben. Unser Kardiologe sagte uns damals, dass es durchaus Spitzensportler mit Lias Krankenbild gibt und so agil, wie sie derzeit ist, glauben wir daran, dass sie alles schaffen kann.“