Internationaler Tag der Menschen mit Behinderung

Schon jemand, der in der Bahn für uns aufsteht, würde helfen

Klara ist 11 Jahre alt, liest gerne, hört am liebsten Hörspiele, in denen Pferde vorkommen und mag Playmobil. Stundenlang vermag sie es, mit den Figuren in andere Welten abzutauchen. Sie ist gerne unter Menschen und generell sehr offen und freundlich. Klingt wie das Leben eines ganz normalen Teenagers. Aber Klara ist anders und wird es immer sein. Ihre Mutter nimmt uns mit in ihren besonderen Alltag.

Welche Beeinträchtigung hat Klara?
Unsere Tochter ist mit einem offenen Rücken auf die Welt gekommen. Einhergehend mit dieser Erkrankung hat sie einen Hydrocephalus, umgangssprachlich auch Wasserkopf genannt. Mit einem Shunt-System im Kopf wird allerdings der Hirnwasserkreislauf relativ gut reguliert. Klara hat eine geistige Behinderung und ist ab der Hüfte abwärts gelähmt. Sie muss alle drei bis vier Stunden katheterisiert werden und alle zwei Tage benötigt sie ein Darm-Management.

Wie kam es zur Diagnose?
Oft erkennt man einen offenen Rücken zwischen der 17. bis 24. SSW, aber in Klaras Fall ist es niemandem aufgefallen. Bei einem routinemäßigen Ultraschall in der 36. SSW, stellte der Gynäkologe dann eine Auffälligkeit am Köpfchen fest und überwies uns sofort in die Uniklinik. Er verabschiedete uns mit den Worten: „Sie werden kein gesundes Kind auf die Welt bringen. Stellen sie sich darauf ein, dass sie innerhalb der nächsten Stunden Mutter werden.“ Zwischen Diagnose und Kaiserschnitt lagen gerade einmal 16 Stunden. Wir hatten kaum die Möglichkeit, alles es zu begreifen. Ganz makaber fand ich den Moment, als ich kurz vor der Geburt noch einmal Unterlagen in die Hand gedrückt bekommen haben, die uns darüber aufklärten, dass ich die Schwangerschaft immer noch hätte abbrechen können. „Ihr Kind hat eine geistige und körperliche Behinderung. Sie können das hier und heute beenden“, sagte der Arzt damals. Das kam für uns überhaupt nicht in Frage.

Was war in der ersten Zeit für Sie am schwersten?
Als Klara vier Tage alt war, holten mich die Schwestern nachts aus dem Bett und sagten: „Wir bekommen ihre Tochter nicht beruhigt, sie müssen mitkommen, wir wissen nicht mehr weiter.“ Diese Situation hat mich völlig überfordert. Ich wusste es doch selbst nicht, ich kannte mein Kind noch kaum. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich sie nur ein einziges Mal auf dem Arm gehabt. Insgesamt war Klara sechs Wochen im Krankenhaus und ich durfte sie nur einmal täglich, wenige Minuten aus ihrem Bettchen heben und mit ihr kuscheln. So makaber es klingt, aber das Schlimmste nach diesen Wochen war eigentlich die Nachricht: „Sie können jetzt mit ihrem Kind nach Hause“. Da brach für mich eine Welt zusammen. Ich hatte große Angst, den Alltag allein zu Hause nicht bewältigen zu können. Zum Glück hat mich der Bunte Kreis Rheinland dabei sehr unterstützt. Schon im Krankenhaus wurde mir der Kontakt zu einer Nachsorgeschwester vermittelt und sie regelte bereits vor der Entlassung wesentliche Dinge für uns. Sie organisierte einen Kinderarzt, der sich mit dieser Art von Erkrankung auskennt, eine Physiotherapeutin, die in der ersten Zeit sogar zu uns nach Hause kam und half uns beim Ausfüllen von Anträgen und Formularen. Mit all dem nicht alleine dastehen zu müssen, war so wichtig.

Welche Art von Betreuung benötigt Ihre Tochter?
Klara sitzt im Rollstuhl und braucht eigentlich permanent Hilfe. Sie ist auf einer Förderschule und so kann ich drei Tage die Woche Vormittags arbeiten. Wenn sie nach Hause kommt, kann ich nichts mehr nebenbei machen. Am schwersten finde ich es, immer nach der Uhr leben zu müssen. Wir können nicht spontan entscheiden und sind immer durchgetaktet. Seit Klara auf der Welt ist, kenne ich keinen anderen Alltag. 

Was würde Ihnen helfen?
Weniger Bürokratie. Oft sind Anträge so schwierig gemacht, dass man gar keine Chance hat, Unterstützung zu bekommen. Ferienbetreuung zum Beispiel ist eine Katastrophe. Es gibt kaum Angebote für Kinder mit Beeinträchtigung. Aber auch da setze ich große Hoffnungen in den Bunten Kreis Rheinland. Wenn alles gut geht, wird Klara im nächsten Jahr eine Ferienfreizeit mitmachen. Das wäre für uns alle eine komplett neue Situation und enorme Erleichterung.

Wo wünschen Sie sich mehr Akzeptanz?
Bei vielen Dingen. Das Einsteigen in die Straßenbahn mit Rollstuhl ist immer eine Herausforderung. Kaum einer ist da zu spontaner Hilfe bereit. Es steht auch selten mal jemand bei Behindertenplätzen in Bus und Bahn auf. Ständig muss ich diskutieren. Unser Alltag besteht aus vielen kleinen Problemen. Irgendwo gibt es immer Dinge, die theoretisch besser sein könnten. Urlaub verbringen wir am liebsten da, wo wir uns auskennen. Wir trauen uns nicht in neue Gebiete, weil wir nicht wissen, ob wir dort zurechtkommen. Grundsätzlich fehlt mir eine selbstverständlichere Integration von beeinträchtigten Menschen. Wir alle müssen lernen, dass diese Menschen in unsere Mitte und nicht an den Rand der Gesellschaft gehören. Das fängt schon im Kleinen an. Auch im Freundes und Bekanntenkreis fehlt es mir oft, dass einfach mal jemand vorbeikommt und einen Kaffee mit mir trinkt. Ich habe manchmal das Gefühl, nicht mehr „mitgenommen“ zu werden. Ich „schwimme“ nicht mehr mit. Ich hinke immer irgendwo hinterher und fühle mich außen vor.

Was sind für Sie gute und weniger gute Tage?
Die Sorge um Klara und ihre Gesundheit, sind unser ständiger Begleiter. Es fällt mir leichter, von schönen Momenten, als von guten Tagen zu sprechen. Wir freuen uns zum Beispiel immer auf den Urlaub und machen gerne Wochenend-Trips. Von diesen kleinen Fluchten zehren wir lange und nehmen sie mit in den Alltag. Auch wenn Clara etwas Neues lernt oder einen Entwicklungsschub macht, sind das für uns glücklichen Momente.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Jedes Kind wird irgendwann sein eigenes Leben führen können und das wünsche ich mir auch für Klara. Wir werden es im Alter nicht mehr schaffen, ihr die nötige Pflege zukommen zu lassen. Ich hoffe sehr, dass sie eines Tages in ein betreutes Wohnen oder eine Wohngemeinschaften kommt und autark sein kann. Sie wird immer auf Hilfe angewiesen sein und ich wünsche mir Menschen, die ihr diese Hilfe geben, wenn wir sie nicht mehr leisten können.

… und ganz egoistisch wünsche ich mir, dass ich einmal im Jahr allein mit meinem Mann für zwei Tage wegfahren kann, aber das wird wohl erst einmal Traum bleiben.