Leben mit Down-Syndrom

Unmittelbar nach der Geburt erfahren Judith und ihr Mann Torsten, dass ihre Tochter Ava Trisomie 21 hat. Anfangs ist die Diagnose ein Schock, viele Tränen fließen. Doch dann fühlt Judith: „Das passt zu uns. Wir schaffen das.“ Heute, sieben Jahre später, kann sich niemand mehr ein Leben ohne Ava vorstellen. Ich habe Judith (42 Jahre, Ergotherapeutin und Mutter von Ava 7 und Svea 9) zum Interview getroffen und eine herzenswarme, offene und positive Frau kennengelernt.

 

Judith, wie war Dein/Euer erster Augenblick mit Ava?

Ich habe Ava angeschaut und wusste, sie hat das Down-Syndrom. Die Ärzte und das Pflegepersonal waren alle sehr unterstützend und haben uns von Anfang an positiv bestärkt. Sie gaben uns den Bildband: „Außergewöhnlich“ von Conny Wenk, einer Fotografin, die das Leben mit Down- Syndrom Kindern portraitiert. Der hat uns gezeigt, dass unser Leben auch nach Avas Geburt „normal“ weitergehen kann.

 

Was war anfänglich am schwierigsten?

Ava bekam nach der Geburt Probleme mit der Atmung und musste ein paar Wochen sediert und beatmet werden. Später war sie noch insgesamt 5 Monate im Krankenhaus, unter anderem mit einer schweren Epilepsie. Diese Zeit war sehr belastend für uns alle. Heute ist Ava fröhlich, selbstbewusst und frech und muss keine Medikamente mehr nehmen. Sie kann sehr gut sprechen, lernt gerade lesen und den Umgang mit Zahlen. Wir sind sehr glücklich, dass sie sich so toll entwickelt.

 

Was hat Euch in Eurer Situation besonders geholfen?

Alle Menschen, die uns im Krankenhaus begegnet sind, waren unterstützend und haben sich viel Zeit genommen, uns Mut zu machen. Durch die Bonner Selbsthilfegruppe „Down-and-Up“ lernten wir die „Gemeinschaft der Down-Syndrom-Familien“ kennen und fühlten uns dort sehr gut aufgehoben. Zusätzlich unterstützte uns der Bunte Kreis Rheinland von Beginn an unbürokratisch und zeitnah. Das hat uns entlastet und Mut gemacht. Wir hatten immer das Gefühl, auch zukünftig die Hilfe zu bekommen, die wir brauchen.

 

Was rätst Du Familien, die mit einer ähnlichen Diagnose konfrontiert werden?

Treten Sie früh in Kontakt mit anderen Familien, die sich in einer ähnlichen Situation befinden oder befunden haben. Schauen Sie sich an, wie deren Alltag aussieht, tauschen Sie sich aus. In jeder größeren Stadt gibt es Elterninitiativen zum Thema Down Syndrom. Holen Sie sich Unterstützung, zum Beispiel über die Verhinderungspflege, deren Anspruch aus dem zugesprochenen Pflegerad entsteht.

 

Was würdest Du Dir an staatlicher Unterstützung wünschen?

Eine unkomplizierte und zuverlässige Betreuung der Kinder während der Arbeitszeiten auch wenn Unvorhergesehenes eintritt. Eine sichere Betreuungssituation durch Schulbegleiter und eine bessere Bezahlung dieser wichtigen Kräfte. Bei meiner Arbeit als schulbasierte Ergotherapeutin kämpfe ich gegen viele Barrieren und Unsicherheit im Umgang mit förderbedürftigen Kindern. Von einer Chancengleichheit sind wir weit entfernt. Im Prinzip bräuchten wir an Schulen eine ebenso starke Institution wie den Bunten Kreis, der unbürokratisch und schnell wirksame Unterstützung und Mittel bereitstellt.

 

Was sagst Du zum Thema Inklusion? Findet sie statt?

Ja, sie findet statt, zumeist aber unter schwierigen und kräftezehrenden Bedingungen – erbracht von engagierten Menschen, die sich in ihrem Einsatz häufig „erschöpfen“.

 

Was macht Dich im Alltag mit Ava besonders wütend?

Wenn sie sich Zeit lässt und bockig ist, wir aber Termine einhalten müssen.

 

Macht Ihr in der Erziehung Eurer Kinder Unterschiede?

Wir machen in der Erziehung unserer Kinder nur wenig Unterschiede. Ava muss sich ebenso wie Svea an Regeln und Absprachen halten und schafft das auch. Wir müssen sie nicht besonders „schonen“. Im Gegenteil, besonders Ava braucht klare Grenzen und Konsequenzen, um z. B. ein gutes Arbeitsverhalten bei den Hausaufgaben oder den richtigen Umgang mit Menschen zu lernen.

 

Welche Auswirkungen hat das Down-Syndrom auf das Geschwisterkind?

Svea ist eine sehr liebevolle, fürsorgliche und verständnisvolle große Schwester. Sie kann sich gut auf ihre Spielpartner einstellen. Über ihre Sorgen spricht sie offen, auch wenn sie z. B. manchmal neben Ava zurückstecken muss. Offen angesprochen können wir solche Situationen immer auflösen. Ich denke schon, dass dies mit Avas besonderen Bedürfnissen zu tun hat. Manchmal müssen wir Svea gezielt unterstützen, denn sie neigt dazu, zu viel Verantwortung für Ava zu übernehmen. Wir achten darauf, dass sie sich auch in ihren eigenen Bedürfnissen gesehen fühlt. Geschwisteraktionen, wie die des Bunten Kreises sind da ganz wichtig, denn nicht alle Kinder sprechen über ihre Bedürfnisse.

 

Wenn Du an die Zukunft denkst, was bereitet Dir die größten Sorgen?

Dass Ava sozial, emotional nicht das bekommt, was sie braucht und sich wünscht. Zum Beispiel Freundschaften, einen Partner und Kinder. Alle Enttäuschungen auf der emotionalen Ebene möchte ich ihr eigentlich ersparen. Ich weiß aber, dass ich mich da von anderen Müttern nicht unterscheide – das sind unsere „Mütter-Urängste“. (...lacht). Direkt nach Avas Geburt hatte ich ein verändertes Rollenverständnis. Plötzlich war ich „Mutter eines behinderten Kindes“. Das hat sich heute völlig gelegt. Ich bin glücklich, anderen Familien zeigen zu können, wie selbstverständlich, unkompliziert und normal das Leben mit einem Kind mit Down Syndrom ist. Meine Kinder machen mich stolz – jedes der Mädchen, so wie sie ist. Heute leben wir einen normalen Alltag, mit allen Höhen und Tiefen – wie alle anderen auch.

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